Kurzer Hinweis: Hier findet sich eine kleine Erklärung der Spielerprofile, die hier verwendet werden.
Ich bin ja eigentlich schon seit Jahren der Meinung, dass sich viele DEL-Teams fälschlicherweise dem europäischen Spielermarkt verschliessen und stattdessen gefühlt fast ausschliesslich auf nordamerikanische Transfers setzen.
Nun kann es selektive Wahrnehmung meinerseits sein, aber ich habe den Eindruck, dass sich das diesen Sommer gehörig geändert hat. Plötzlich flimmern auf Elite Prospects Namen wie Patrik Hersley, Ruslan Iskhakov und Jonas Holøs. Aber für viele deutsche Fans ist es sicher nicht einfach, diese Transfers zu beurteilen (nicht, dass das bei nordamerikanischen Transfers anders wäre). Ausser Punkten, +/- und vielleicht noch nem 6 Jahre alten zweisätzigen Scoutingreport findet sich ja zu den meisten Spielern nicht viel an Informationen.
Zufälligerweise habe ich die letzten Monate neben einem WAR-Modell für die DEL (eine Erklärung, wie genau das Modell funktioniert, folgt bald) auch entsprechende Modelle für die meisten anderen grossen europäischen Ligen gebastelt. Damit lässt sich ein erster analytischer Blick auf die DEL-Neulinge werfen, der etwas tiefer geht. Fangen wir mit den Verteidigern an:
Jonas Holøs (Linköping -> Kölner Haie)
Bei Holøs stellt sich hauptsächlich die Frage, welche Version die Haie bekommen. Die 19/20er-Version sieht nach einem Verteidiger aus, der auch jenseits der 30 solide defensive Leistungen bringen kann. Sein Defensivimpact war 19/20 noch klar überdurchschnittlich.
Die 20/21er-Version hingegen wirkt eher wie ein Verteidiger, der langsam in ein Alter kommt, bei dem es schwer wird, mitzuhalten. Vor allem problematisch sind die vielen Turnover, die er produziert. Hier wird fraglich sein, ob das geringere Tempo der DEL (und das bisschen mehr Zeit, dass man zur Entscheidungsfindung/zum Abspiel bekommt) ihm hilft, das zumindest teilweise abzustellen.
Positiv:
19/20 sehr guter Defensivimpact
Defensiv auch 20/21 noch ~ respektabel
Mit Junland ganz gut. Also vielleicht mit einem Partner, der stark am Puck ist, noch am besten aufgehoben.
Negativ:
Offensiv kein Faktor
Wird vor Saisonbeginn 34
Turnover könnten problematisch werden
Patrik Hersley (Malmö -> Krefeld Pinguine)
Patrik Hersley ist für Leute, die die KHL verfolgen, ein bekannter Name. Vor allem während der 2+ Jahre in St.Petersburg hat er ordentlich gepunktet. Wie viel Anteile man ihm dafür zuschreiben will, ist diskutabel, schliesslich war er da in Powerplayformationen mit Nikita Gusev, Pavel Datsyuk, Ilya Kovalchuk und Sergei Shirokov auf dem Eis. Natürlich hat es auch seinen Grund, dass er dazugestellt wurde, aber die Kreativarbeit haben in diesen PPs meist andere Spieler übernommen. Zudem wurden die PPs mit Gusev meist von hinterm Tor geleitet im Gegensatz zum heutzutage handelsüblichen 1-3-1. Und… ja… nix gegen die Pinguine, aber ich habe das Gefühl beim KEV wird er mit leicht anderen Spielern aufm Eis stehen.
Trotz alldem und seinem fortgeschrittenen Alter war er letztes Jahr noch ein sehr respektabler Verteidiger, gehörte bei gleicher Spielstärke zu den besten 30% in Wins Above Replacement.
Positiv:
20/21 ein überdurchschnittlicher SHL-Verteidiger
Geringeres Tempo in der DEL dürfte ihm helfen
Schussgewalt
Ruhig und abgeklärt im Spielaufbau
Negativ:
Ironischerweise am schlechtesten mit dem anderen Krefelder Neuzugang aus Malmö zusammengespielt
35 Jahre alt
Jesper Jensen Aabo (Malmö -> Krefeld Pinguine)
Der Kapitän der dänischen Nationalmannschaft war die letzten Saisons ein eher unterdurchschnittlicher SHL-Verteidiger. Die Punktausbeute (19/20 auf Platz 15 im Verteidigerscoring) sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Jensen eher durch seine Defensive glänzt. Das war auch das einzig positive, was sich über seine Saison 20/21 noch sagen lässt, defensiv war er definitiv solide, gehörte zu den besten 25% der SHL-Verteidiger.
Das Problem ist, dass er das eigentlich alles mit dem Mangel an Offensive wieder wettmacht. Ein wenig zeigt sich das auch im Video. Bei den meisten Verteidigern kann ich mir durchaus das eine oder andere abschauen. Bei Jensen steht in meinem Notizbuch einfach nur “nix zu sehen”. Er macht defensiv keine argen Fehler. Mit dem Puck macht er nichts besonderes aber auch nicht ausserordentlich viele Fehler.
Die Übersetzung aus der SHL ist nicht immer leicht, aber er sollte in Krefeld zumindest als stabiler (wenn vielleicht auch langweiliger) Verteidiger für die ~2. Reihe duchgehen. Als Titelanwärter würde ich allerdings etwas mehr wollen.
Positiv:
Langweilig im positiven Sinn: macht nicht übermässig viele Fehler
Negativ:
Langweilig im negativen Sinn: wenig, was Begeisterung auslöst
Offensiv eher schwach
Hoffentlich nicht geholt worden, um mit Hersley zu spielen
Niclas Burström (Skellefteå -> Schwenningen)
Burström ist der erste wirklich breit eingesetzte Verteidiger unter den DEL-Transfers, der im PP und in Unterzahl zumindest in einer untergeordneten Rolle eingesetzt wurde. Und zwischenzeitlich wurde er sogar als Stürmer eingesetzt, was die Beurteilung etwas erschwert.
Andererseits sprechen die beiden vergangenen Jahre auch schon für sich. Ein durchschnittlicher SHL-Verteidiger, der offensiv mehr Impact hat als defensiv.
Positiv:
Solide im Spielaufbau
Sollte zumindest bei 5v5 ein guter Spieler für die Top 4 sein
Negativ:
Hat zwar die letzten Jahre regelmässig Special Teams gespielt, war aber sowohl im PP als auch im PK unterdurchschnittlich
Ilari Melart (Växjö -> Adler Mannheim)
Ilari Melart ist sicher mit am schwersten zu beurteilen. Einerseits stehen da die Saisons 18/19 und 19/20 in denen er bei 5v5 klar ein Verteidiger für die Top 4 war. Andererseits zur vergangenen Saison ein massiver Absturz der 5v5-Werte bei jedoch stabil bleibenden Impacts in Über- und Unterzahl.
Zumindest in Schweden scheint man an seiner aufreibenden physischen Spielweise mittlerweile wohl vorbeizukommen, defensiv war er zuletzt zumindest bei 5v5 bei weitem nicht mehr so ein Faktor wie in den Jahren zuvor.
Jeder kann mal eine schlechte Saison erwischen, vor allem wenn genügend Stichprobe aus der Vergangenheit da ist, um zu suggerieren, dass es sich nur um einen Ausrutscher nach unten handelt. Bei Melart stellt sich mir aber schon die Frage, ob vielleicht die extrem auffälligen Attribute (Schuss, körperliche Spielweise) einen etwas verblenden. Das und sein Alter lassen mich skeptisch bleiben, ob es sich hierbei wirklich um einen bombigen Transfer handelt.
Oder nach Alex Novet:
Positiv:
Hilft sicher in Über- und Unterzahl
Schussgewalt
DEL mindert Alterungsprozess (weniger intensiver Forecheck, weniger Tempo allgemein)
Negativ:
Strafzeiten
Seit 2019 stetig abnehmende Defensivimpacts von herausragend (Top 5%) zu gut (Top 30%) zu unterdurschnittlich -> Wie Hersley etwas langsamer geworden
Jonathon Blum (Färjestad -> München)
Man sollte sich nicht von der deutlich geringeren Punktausbeute (19/20: 33 Punkte, 20/21: 13 Punkte) täuschen lassen: Blum war 20/21 leicht besser als 19/20.
Für diese Punktedifferenz ist hauptsächlich Jesse Virtanen verantwortlich. Der hat nämlich nach seiner Rückkehr aus der KHL seinen Platz in Färjestads PP1 wieder beschlagnahmt, nachdem Blum diesen 2019/20 warmhalten durfte (und dabei eben 19 Punkte gesammelt hat die ihm 20/21 fehlen). Sollten die Münchner grösstenteils verletzungsfrei bleiben, weiss ich nicht, wie viel sich daran für ihn ändern wird. Mit Abeltshauser, Redmond und Seidenberg gibt es viel Konkurrenz auf die wenigen Plätze im PP.
Und auch wenn ich in Sachen Gap Control ein wenig Verbesserungspotential gesehen habe, seine Defensivstats gehören zu den besten der SHL. Im Spielaufbau ist er nicht auf einen Partner angewiesen, der die Verantwortung übernimmt. Dürfte für die DEL und insbesondere die Münchner eine enorme Bereicherung sein.
Positiv:
Defensiv top
Allgemein bei 5v5 ein Spieler für die Topreihe
2019/20 gezeigt, dass er auch im PP spielen kann
Negativ:
In beiden Jahren bei FBK nur sehr wenig Unterzahl gespielt
Jesse Graham (KalPa -> Augsburg)
Exzellente 2-Way-Stats (KalPa ist deutlich besser, wenn er auf dem Eis ist als wenn er auf der Bank sitzt). Mobiler Verteidiger, eigentlich genau die Art Spieler, die DEL-Teams brauchen können.
Lustigerweise kommt Graham von einem der wenigen Teams, das noch mit 2 Verteidigern in Überzahl spielt. Und wenn die letzte Saison ein Indikator ist, wird er das in Augsburg fortsetzen.
KalPas PP:
Augsburgs PP:
Sonderlich schussgewaltig ist er allerdings nicht. Oft haben finnische PKs ihn absichtlich offen gelassen, weil sie wenig Angst vor seinem Schlagschuss haben.
Positiv:
Sollte in der DEL mit seiner Agilität den Forecheckern entgehen können
Dürfte auch ohne herausragenden Schuss ins Augsburger PP passen
Hervorragende 2-Way-Stats…
Negativ:
… aber nur in einer untergeordneten Rolle, war kein #1-Verteidiger, der auf die Topreihe des Gegners gehetzt wird
Blake Parlett (Tappara -> Nürnberg)
Parlett ist in dieser Liste eine Ausnahme, schliesslich hat er schon in der DEL gespielt (17/18 in Berlin und 19/20 für München). Also schauen wir uns direkt auch sein 19/20er-Profil an:
Positiv:
In der DEL und Liiga ein durchschnittlicher Verteidiger, fürs zweite Paar sicherlich kompetent, erste Reihe wäre wohl etwas viel Verantwortung
Offensiv in der DEL überdurchschnittlich
Negativ:
Defensiv unterdurchschnittlich
Markus Kojo (SaiPa -> Bietigheim)
Nach allem, was so in der Pressemitteilung der Bietigheimer steht, wird er wohl als Defensivverteidiger geholt.
Dass sein Defensivimpact in der finnischen Liga in den letzten drei Jahren maximal durchschnittlich war (und er gerade eine horrende Saison hinter sich hat), wird bei dieser Beurteilung wohl ignoriert.
Natürlich ist er 1.94m. Im Sinne der Ökologie sollte ich dann wohl auch Witze recyclen:
Positiv:
Mit 27 noch in einem vernünftigen Alter
Hoffnung auf Reboundsaison vielleicht nicht ganz unberechtigt
Negativ:
Defensiv in der Vergangenheit bestenfalls Durchschnitt in Finnland, passt nicht wirklich zum beschriebenen Profil…
Letzte Saison einer der schlechtesten Verteidiger in Finnland